Ich habe schon öfter gehört, dass der lange Auszug vielen auch erfahreneren SpinnerInnen Probleme bereitet. Deshalb habe ich mich mit dem Thema noch einmal auseinander gesetzt und ein Video darüber gedreht.

Was ist überhaupt der lange Auszug?

Der lange Auszug ist eine (zugegeben nicht ganz einfache Technik) um Streichgarne herzustellen. Streichgarne sind weicher und wärmer als Kammgarne, weil sie mehr Luft speichern und lockerer verdreht sind. Spinnt man im langen Auszug werden die Fasern nicht Stück für Stück ausgezogen, glatt gestrichen und verdreht. Sondern es wird ein langer Faden am Stück ausgezogen und verdreht. Das braucht ein wenig mehr Übung und etwas mehr Vertrauen in das Prinzip des Dralls, aber dafür geht es auch schneller.

Vorraussetzungen

Im Video zeige ich den langen Auszug mit einer Handspindel, schlicht weg weil ich nun schon häufiger gefragt wurde, ob ich darüber auch mal ein Video machen könnte, nachdem ich den langen Auszug vor Jahren schon mal am Spinnrad gezeigt habe.
Probiert man es also mit einer Handspindel, sollte diese nicht zu schwer und vor allem schnell und langdrehend sein. Probiert man es mit einer Spindel, die wenig eigenen Schwung hat, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass man bald frustriert wieder aufgibt.

Das ganze funktioniert natürlich auch genauso, wie ich es im Video zeige, am Spinnrad. Um euch die Arbeit etwas zu erleichtern kann es sinnvoll sein, die Bremse möglichst locker einzustellen, gerade so dass der Faden ordentlich eingezogen wird. Die Übersetzung sollte schnell sein, aber nicht umbedingt die schnellste (zumindest beim Üben). Natürlich hat jeder sein individuelles Arbeitstempo und davon hängt auch die Übersetzung ab, probiert also ein wenig aus und sucht den richtigen Mittelweg.

Man kann gekämmte Fasern im langen Auszug verspinnen, aber am besten geeignet sind kardierte Fasern, die etwas 3-4 cm lang sind (will man wirklich lange Fasern im langen Auszug verspinnen, sollte man es aus der Falte versuchen – dazu werde ich in Kürze auch noch ein Video machen).  Man kann auch kürzere Fasern wie Baumwolle, Yak oder Kamel im langen Auszug verspinnen – sollte man sogar! Aber zum Üben würde ich eher Wollsorten wie Merino, Corriedale, Coburger Fuchs, Shetland oder Southdown empfehlen.

Vor- und Nachteile

Wie schon erwähnt sind im langen Auszug hergestellte Garne in der Regel wärmer und weicher, als im kurzen Auszug gesponnene. Dadurch, dass mehr Fasern abstehen, weil diese nicht glatt gestrichen werden, hat das fertige Garn auch häufig eher einen schönen Schimmer. Das ist natürlich besonders schön bei Fasern die von sich aus schon einen schönen Glanz haben. Die Technik an sich bringt es tatsächlich auch mit sich, dass in kürzerer Zeit mehr Faden produziert wird. „Großartig!“ wird sich jetzt manch einer denken. „Dann spinne ich nur noch im langen Auszug und bin viel schneller“, aber es ist halt eine Technik und jede Technik bringt ein anderes Ergebnis mit sich.

Und es gibt auch ein paar Nachteile: Streichgarne sind weniger langlebig, also nicht umbedingt die richtige Wahl für Kleidungsstücke, die langen halten sollen. Durch ihre Struktur neigen solche Garne auch eher zu „Pilling“, also zur Bildung kleiner Wollknübbelchen auf den fertigen Textilien. Spinnt man im langen Auszug sollte man sich auch mit dem Gedanken anfreunden, dass das fertige Garn niemals so gleichmäßig sein wird, wie man es von den eigenen im kurzen Auszug gesponnenen Garnen gewohnt ist. Zuletzt soll nicht unerwähnt bleiben, dass Farben in Streichgarnen meistens matter wirken, als in Kammgarnen. Darüber sollte man sich Gedanken machen, bevor man den einen wunderbaren handgefärbten Kammzug mit den tollen kräftigen Farben aus dem Schrank zieht und daraus Rolags macht, um sie im langen Auszug zu verspinnen und sich hinterher ärgert, weil die Farben einfach nicht mehr so wirken wie zuvor.

Technik

Nun aber Butter bei die Fische! Ich hatte ja schon weiter oben erwähnt, dass diese Spinntechnik häufig als schwierig empfunden wird und viele SpinnerInnen haben wirklich Respekt davor, den langen Auszug auszuprobieren. Stellt euch vor es wäre nicht besonderes, es ist einfach nur eine andere Technik!

Für das Video habe ich versucht den langen Auszug für euch runter zu brechen, in drei einzelne kleine Übungsschritte:

  1. Im „Park & Draft“ Schritt für Schritt nach hinten ausziehen, während die Drallsperre immer an der gleichen Stelle bleibt und nicht mit dem Drall den Faden entlang wandert. Wichtig ist darauf zu achten, dass der Drall nicht in die Fasern wandert, also auch mit der Faserhand (die Hand, die die Fasern hält und auszieht)
  2. Das gleiche im Flug: Während die Spindel fliegt, den Drall mit der Spindelhand (die Hand die i.d.R. die Spindel hält) sperren, mit der anderen Hand ein Stück ausziehen und den Drall hineinwandern lassen. Dabei bleibt die Spindelhand abermals immer an der gleichen Stelle! Wieder etwas ausziehen und den Drall wandern lassen usw.
  3. Mit etwas Übung (und je nachdem passiert das sogar, ohne dass ihr es merkt) kann man diese Einzelschritte miteinander zu einer fließenden Bewegung verbinden. Die Fasern werden am Stück zu einem langen Faden ausgezogen und nicht mehr in kleinen Schritten, die Spindelhand unterstützt den Faden an einer Stelle und kontrolliert den Drall, wenn es nötig ist. Im Gegensatz zu den Übungen vorher wandert der Drall konstant in den Faden und folgt quasi der Faserhand (man muss also schneller sein als der Drall!).

Das Prinzip ist eigentlich wie Fangen spielen: Der Drall läuft durch die Spindelhand den Fasern hinterher, um sie zu fangen und kurz bevor er sie fangen könnte (weil der Faden so lang geworden ist, dass man ihn nicht mehr halten kann) stellt sich die Drallsperre (der Faserhand) vor die Fasern und sagt „Ätschbätsch, Freio!“. Manchmal kann es auch sein, dass die Spindelhand wie eine Lehrerin dazwischen geht und sagt „Hey, auf dem Schulhof wird nicht so schnell gerannt!“.

(Warum ist mir dieses lustige Beispiel eigentlich erst nach dem Videodreh eingefallen?)

Video

Nun hoffe ich, dass ich euch mit dem Video und meinen Beschreibungen eine kleine Hilfestellung geben kann und ihr es ausprobiert. Wenn man es erst Mal kann, macht es riesigen Spaß! Versprochen!
Und es ist eine prima Übung für das Spinnen mit unterstützen (supported) Spindeln. Darüber werde ich nämlich in den nächsten Wochen auch noch ein Video machen 😉